Portrait Christoph Renhart
erschienen in den »Mitteilungen« des Steirischen Tonkünstlerbunds Nr. 41, Graz, September 2020
Gerhard Präsent [Präsident des Steirischen Tonkünstlerbunds, Anm.]: Lieber Christoph, wie waren deine musikalischen Anfänge? Sind deine Eltern Musiker?
Christoph Renhart: Ich komme eindeutig aus einer Muggel-Dynastie. Die ersten musikalischen Meilensteine waren demnach einer inoffiziellen Tradition folgend: Plastikblockflöte, Holzblockflöte und viel später ein guter Flügel, wobei ich anmerken will, dass ich mittlerweile spieltechnisch wieder fallweise gerne zum Plastik zurückkomme, um beispielsweise mandolinartige Klänge mittels aus einer alten ÖBB-Vorteilscard zugeschnittenen Plektrums dem Innenraum des Klaviers zu entzaubern.
GP: … und wann – und wie – hat sich dein Interesse herauskristallisiert, eigene Musik zu schreiben?
ChR: Als Kind entwickelte ich eine gewisse Meisterschaft im Turmbau zu Babel fürs Wohnzimmer. Das Baumaterial war dabei nebensächlich, mir ging es allein um den nächsten Höhenrekord – etliche Messversuche brachten dabei das frisch errichtete Kunstwerk zum Einsturz – und zu meinem großen Glück hatte mir niemand nahegelegt, nach irgendeiner Anleitung zu bauen. Musik kann man meistens erst aufschreiben, wenn man bereits über instrumentale Fertigkeiten verfügt. Heute würde ich vielleicht am Raspberry Pi erste kompositorische Ideen zusammenschustern. Wie man dazu kommt ist letztlich egal und höchstens Grundstein eigener Legendenbildung: Wesentlich ist bzw. war auch für mich die Freude am Umsetzungsprozess eigener Ideen und irgendwann zu lernen, wie man es zielgerichtet angeht, sodass man seine Künste in einer Weise einsetzen kann, die andere Menschen in ähnlicher Weise bezaubert.
GP: Wer waren deine frühesten kompositorischen Vorbilder? (Nur in der Klassik, oder auch in anderen Bereichen?)
ChR: Die Vorbilder sind anfangs oft mit dem Instrumentalunterricht verwoben. Zu den Vorzügen des Klavierunterrichts bei Hildegard Frühwirth am Grazer Konservatorium gehörte, auch einiges über die Komposition zu lernen. Besonders beeindruckt war ich damals von Bachs Fugen, da man recht schnell und anschaulich versteht, wie vertrackt und kunstvoll so ein Musikstück zusammengeflickt ist, insbesondere, wenn es ein_e Lehrer_in versteht, an den richtigen Stellen darauf hinzuweisen. Zum anderen mochte ich Neue Musik insbesondere als Interpret seit immerschon. Musik etwa unseres verstorbenen Vereinsmitglieds Jenö Takacs zu spielen bedeutete mir auch mit der Freiheit des Höhlenforschers in mir bis dahin unbekannte Räume vorzudringen und einen ganzen Atlas weißer Flecken im eigenen Kunstkosmos neu zu kartographieren. Welch ein Geschenk und im Vergleich zur Speäologie komplett ungefährlich! Ich war und bleibe ein neugieriger Mensch. Menschen, die nicht neugierig genug sind, sollen ohnehin nicht Künstler_innen werden, da kommt nix raus.
GP: Du hast dann ein Studium IGP-Klavier (Instrumental- und Gesangspädagogik) an der KUG in Graz begonnen. War da bereits die Absicht vorhanden, auch Komposition zu studieren?
ChR: Komposition zu studieren wäre immer und insgeheim meine erste Wahl gewesen, allein, ich hatte keine Vorstellung, wie man sich der Sache professionell nähert und hatte es daher für mich ausgeschlossen. Das Fach Komposition fand an den steirischen Musikschulen quasi nicht statt. Inzwischen hat sich da wenig, aber doch etwas getan – ein paar engagierte Menschen treiben sehr lobenswerte Initiativen voran – wirklich verankert ist das Fach Komposition in den Musikschulen noch längst nicht. Schade eigentlich, denn niemand wird als armer Vasall geboren, der sich die Alten Meister als die Unerreichbarsten verklärt, indem er nicht mitbekommt, was um ihn herum soeben passiert und entsteht.
GP: Wie bist du dann zu Richard Dünser als Kompositionsprofessor gekommen? Hat dich seine Musik angesprochen – oder gab es (auch) andere Gründe?
ChR: Annamária Bodoky-Krause war in Sachen Musiktheorie äußerst bewandert. Ich erinnere mich mit einem gewissen Schmunzeln, wie sie in der Klavierklasse Stücke am Klavier analysierte, indem Sie beispielsweise Messiaen, Debussy oder Prokofjews 3. Klaviersonate vom Blatt spielte und dazu kommentierte, was gerade passiert: welche Modulation stattfindet, welche Skalen im Raum stehen, welche Akkorde aufeinander folgen, kurzum, was kompositorisch abgeht. Dass wir ihr dabei erstens folgen und zweitens es im selben Sinne ihr nachtun können wurde erwartet (-; Prof. Bodoky-Krause sprach stets davon, ein Stück »nachzukomponieren« wenn man es interpretieren wollte. Das tiefgehende kompositorische Verständnis ist demnach die unabdingbare Voraussetzung, um überhaupt erst eine akademisch tragbare Interpretation zustande zu bringen. Solche Gedanken verfingen bei mir viel schneller als Czernys Kunst der Fingerfertigkeit, was einer exzellenten Lehrerin natürlich nicht entgehen konnte. Also lautete im ersten Studienjahr eine Aufgabe: »Komponiere ein Stück und spiel es mir vor«. Gespielt wurde hinreichend schlecht, sodass ich es lieber Richard Dünser vorspielen sollte. So einfach ist das. Ich erinnere mich noch, dass ich es mindestens genauso miserabel heruntergeklimpert hab und er es wider Erwartens »einfallsreich« fand. Das war zugleich der Moment, als ich verstand, dass große Künstler_innen tatsächlich über die erstaunliche Fähigkeit verfügen zu abstrahieren: Die klare Vision zu haben, was herauskommen könnte.
Richards Musik hat mich mit der größten Selbstverständlichkeit fasziniert. Sie tut es nach wie vor und zu ihren großen Verzügen zählt die Tatsache, dass sie in einer Weise zeitlos gut ist, dass sich jegliche Versuche, sie in irgendwelche Moden einzuordnen einer gewissen Überflüssigkeit bemüßigen. Die größten Komponist_innen haben vollbracht, dass sie ihre Ideen unverwechselbar in Klängen manifestieren, sodass man auch nach kürzester Zeit des Gehörten darüber nicht irren kann, wem sie entflossen sind. Dass sich Stücke wie Richards »Entreacte« oder sein Doppelkonzert zur Untermauerung dieser These qualifizieren, halte ich für zweifelsfrei darlegbar.
GP: Wie war der Unterricht bei Richard Dünser? Mehr technisch – oder mehr ästethetisch?
ChR: In jeder Hinsicht motivierend. Im Prozess des Entstehens einer Komposition müssen verschiedenste Aspekte kritisch und mit der größtmöglichen Offenheit und Offenherzigkeit erörtert werden. Integraler Teil des Unterrichts war zudem auch die analytische und reflektierende Auseinandersetzung mit Werken von Staud über Henze, Franke, Ligeti, Burt, Schnittke etc. bis hin zu Berg und Schubert und damit verbunden der Besuch von Konzerten mit Stücken von zahlreichen Kolleg_innen. Dass meine Musik heute weder wie eine Stilkopie meines Lehrers klingt, noch sich auf verbohrte Weise allen Traditionen zu entschlagen sucht und zudem immer wieder internationale Anerkennung fand, spricht, wie ich meine, klar für die hohe Qualität des Kompositionsunterrichts bei Richard Dünser.
GP: … und weitere Lehrer bzw. Einflüsse?
ChR: Direkt beeinflusst hat mein kompositorisches Schaffen die Arbeit mit Christiana Perai im IGP Masterstudium, insbesondere im Rahmen des Studiums der Musik George Crumbs und der Werke der zweiten Wiener Schule. Selbstverständlich hat sich das mit dem Kompositionsstudium sinnvoll ergänzt bzw. habe ich mein Klavierstudium von Anfang an so angelegt, dass diese Inhalte im Vordergrund stehen sollten. Hier bietet das IGP Studium in Graz den Studierenden eine recht erstaunliche Freiheit an – die man freilich auch annehmen kann.
Wie wir wissen ist Graz ein Mekka der Neuen Musik, ein quasi idealer Ort, um dieses Metier zu erforschen. Von größter Bedeutung ist dabei die Vielfalt, die hier herrscht und die Selbstverständlichkeit, mit der man an der KUG diese Vielfalt nicht nur zulässt, sondern auch kultiviert. Dass einige der bedeutendsten Komponist_innen unserer Zeit hier wirk(t)en färbt natürlich ab und wertet unseren Standort immens auf. Wir sind weltweit vorne dabei und es liegt an meiner Generation, diesen Wissensvorsprung weiter auszubauen, weiterzuforschen und Stücke vorzulegen, die sonst fast nirgendwo entstehen können. Daran arbeiten wir. Es wäre schön, unsere hiesigen Symphonieorchester als Partner zu gewinnen. Glücklicherweise kann man inzwischen ja nach Wien fahren oder nach Klagenfurt, wenn man steirische Symphoniker hören will.
GP: Deine derzeitigen Vorbilder als Komponist – und warum diese?
ChR: Diese Antwort ist unfair all jenen gegenüber, an die ich augenblicklich gerade nicht denke, also: Colin Matthews für seine großartige, wenngleich nicht länger zeitgemäße (da Pluto vor ein paar Jahren zum Zwergplaneten degradiert wurde) symphonische Vervollständigung der Holst’schen Planeten unseres Sonnensystems. Claude Ledoux, den ich letztes Jahr in Belgien kennen gelernt habe für sein wunderbare buntes und virtuoses Klavierkonzert »A Butterfly’s Dream«, das ganz in der großen französischen Tradition steht. Und Thomas Larcher, der völlig zu Recht für Werke wie »Kenotaph« den großen österreichischen Staatspreis bekommen hat. Bitte um Aufführung der genannten Stücke, liebe steirische Symphonieorchester.
GP: Wie würdest du deine Musik – bzw. die Idealvorstellung davon – beschreiben? Was sollen deine Werke ausdrücken bzw. bewirken?
ChR: Ich ringe mir jedes Mal nur unter den größten Anstrengungen ein paar Worte Einführungstext zu meinen Stücken ab. Bitte lest es dort auf meiner Website nach. Noch besser: Hört euch die Stücke an. Meine Musik bewirkt nichts. Nichts als musikalische Erinnerungen – bestenfalls. Vielleicht machen solche Erinnerungen manche Menschen glücklicher oder verärgert. Das kann die Musik selbst nicht beeinflussen. Vielmehr könnte ich es durch gut gewählte Worte oder weniger treffende Worte beeinflussen, wie ihr über meine Musik denkt oder über mich urteilt und in weiterer Folge meine Musik sympathisch oder unsympathisch findet. Ich glaube an eure Freiheit im Denken und werde mich daher hüten.
GP: Hast du irgendwelche Vorlieben bei den Besetzungen, also z.B. für Klavier, Singstimme, Kammermusik, Orchester …
ChR: Tatsächlich habe ich hier klare Vorlieben: Glocken, möglichst große Gongs, Stabspiele, Celesta und Klavier. Kurzum, alles was teuer ist und man fast nie kriegen kann (besonders schön klingen übrigens Plattenglocken, da musste letztens das Brussels Philharmonic passen). Ich fühle mich pudelwohl mit großen Besetzungen, habe dafür eine ganz eigene Vorstellung mir entwickelt und Erfahrung und Kenntnisse im Bereich Instrumentation gesammelt, die es mittlerweile erlauben, eine Orchestrierung kongruent zu meinen Klandideen zu verwirklichen. Es hat dahingehend übrigens enorm geholfen ab und an eigene Werke zu dirigieren.
GP: Du hast ja bereits etliche Preise für dein kompositorisches Werk erhalten. Viele Wettbewerbe verlangen ja neue, unaufgeführte Stücke. Findest du das sinnvoll – oder wäre es nicht besser, einfach die besten Kompositionen zu suchen?
ChR: Hier denke ich sehr kaufmännisch: Wie viel gibt es zu gewinnen, wie groß ist der Aufwand und wie nachhaltig ist so ein Projekt. Ich unterstütze weder unmoralische Wettbewerbe durch meine künstlerische Arbeit noch jene Initiativen, die Stücke für irgendwelche absurden Besetzungen suchen, welche dann wohl bis zum St. Nimmerleins-Tag in der Versenkung verschwinden. Die besten Werke zu suchen sollte selbstverständlich sein, wir müssen uns aber nicht der Illusion aussetzen, dass alle Veranstalter_innen und Dramaturg_innen das stets einschätzen können. Neue Stücke zu programmieren wird als teuer und risikobehaftet vonseiten vieler Veranstalter_innen angesehen, deshalb will man es gewöhnlich mit möglichst viel Pomp vermarkten. Das ist schade, es könnte anders sein: In jedem Konzert ein weniger bekanntes Werk neu entdecken zu können würde mich als Vertreter des jungen, neugierigen und interessierten Publikums viel öfter ins Symphoniekonzert locken. Es müssten freilich gute Stücke sein, die es aber en masse gibt! Dazu braucht es 1) eine klare, nach außen getragene Vision seitens der Konzerthäuser 2) sehr gute und ständig wachsende Repertoirekenntnisse 3) Programmverantwortliche, die hie und da auch einmal in kleineren Konzerten mit Neuer Musik auftauchen um sich Punkt 2) zu widmen.
GP: Schreibst du manchmal auch extra ein Werk für so eine Gelegenheit – oder reichst du ein Stück einfach dafür ein, wenn es von der Besetzung oder den Vorgaben her passt?
ChR: Ich handle, wie beschrieben, dahingehend opportunistisch. Dieser Weg war bislang zumindest in mancherlei Hinsicht erfolgreich und verbunden mit exzellenten und vereinzelt auch schlechteren Aufführungen. Für einen meiner schönsten und prestigeträchtigsten Erfolge letzes Jahr beim 66. International Rostrum of Composers musste ich nichts tun, da Ö1 ohne mein Zutun mein Werk zu diesem Radiowettbewerb einreichte.
GP: Wie siehst du die Szene zeitgenössischer Musik heutzutage? Obwohl es einige Fortschritte in der Akzeptanz neuer Werke gibt, führt sie doch noch stets ein Randdasein … man muss sich ja nur die Nische „Zeitton“ im ORF/Ö1 um 23.03 h – nicht unbedingt zur populärsten Sendezeit – anschauen, neben der nur ausnahmsweise etwas passiert. Auch in den meisten Konzert- und Veranstaltungsreihen sind Werke lebender KomponistInnen die Ausnahme, Mozart, Beethoven, Brahms die Regel … und ein Ligeti bereits eine Seltenheit.
ChR: Die zeitgenössische Musik führt ein Randdasein, weil sie im symphonischen Betrieb quasi nicht vorkommt. Das irritiert. Gleichzeitig ist das Abspulen aller Beethoven-Symphonien rechtzeitig zum Beethoven-Jahr so selbstverständlich wie das Abspulen aller Beethoven-Symphonien in jedem anderen Jahr, das kein ganzzahliges Vielfaches von 1770 oder 1827 ist. Das irritiert. Um Richard Dünser aus einem im »Standard« abgedruckten Interview nachzureden: Warum eigentlich kein Ligeti-Jahr heuer? Das irritiert. Die beste Klavierliteratur, die großteils nach 1950 entstand (man bedenke nur, dass die Anzahl publizierter Werke eher exponentiell als linear wächst – und warum sollte die Kunst dabei grundsätzlich schlechter werden, es ist doch wie in anderen Disziplinen eher umgekehrt) steht nur ausnahmsweise auf den Programmzetteln von Studierenden-Klassenabenden. Das irritiert. Ensembles könnten sich durch geschickte vertragliche Aushandlungen mit Komponist_innen ein Repertoire an Stücken und Bearbeitungen zusammenstellen, das nur sie allein spielen dürfen und sich somit einen eklatanten Marktvorteil durch eine Monopolstellung sichern. Solche Überlegungen finden – bei jungen Leuten! – oft gar nicht statt. Das irritiert. Gleichzeitig üben viele Konzertfach-Absolvent_innen ihren Traumberuf nicht aus, weil sie nie gelernt haben, ein adäquates Geschäftsmodell für ihre selbständige Tätigkeit, die ihren individuellen Stärken angemessen ist, zu entwickeln und eventuell über den Tellerrand von Beethoven und Chopin und der sogenannten tonalen Musik im Allgemeinen hinaus zu blicken. Das irritiert. Man bemerke: Ich betrachte Neue Musik hier überall als möglichen Teil einer Lösung.
Den ORF und ganz besonders Ö1 sehe ich auf der Seite der Komponist_innen. Trotz Sparzwangs ist das Bekenntnis zur Neuen Musik beim Sender ein beachtliches und im internationalen Vergleich ist das Programm dahingehend sogar herausragend. Verbesserungswürdig finde ich hingegen die Kuratierung der RSO-Konzerte und die Vermarktung der Rundfunkproduktionen im Internet – letzteres wird allerdings noch durch ein nicht mehr zeitgemäßes ORF-Gesetz maßgeblich erschwert.
GP: Sollte es nicht möglich sein, in den meisten – auch traditionellen – Programmen mit gutem Willen wenigstens ein zeitgenössisches Werk zu spielen … mit minimal 20% der Konzertdauer?
ChR: Das ist eine Frage des politischen Willens im Sinne eines positiv zu wertenden, da unseren Standort als Kuturnation maßgeblich definierenden Patriotismus’: Eine Forderung, jene Konzerte, bei denen die Spielzeit von Werken tantiemenbezugsberechtigter AKM-Mitglider weniger als ein Fünftel der Gesamtspielzeit beträgt nicht durch öffentliche Mittel zu subventionieren, kann ich nur unterstützen.
GP: Als die Corona-Krise begann, mit heftigen Auswirkungen auf uns alle, habe ich mir gedacht: „Wenn der ORF jetzt seinen Anteil an Musik lebender Künstler deutlich erhöhen würde – nicht nur auf zeitgenössischem Gebiet, sondern auch in der U-Musik, z.B. auf Ö3 – dann wäre das eine wirkliche Hilfe. Ist aber nicht passiert.
ChR: Wir dürfen die Initiativen, die es gab nicht übersehen: Ö1 brachte eine ganze Reihe an Zeit-Ton Sendungen zur Unterstützung österreichischer Urheber_innen; zum Bereich der Popularmusik kann ich mich nicht äußern. Ich nehme an, dass eine so breite Unterstützung vonseiten der Radio- und Fernsehprogramme, dass alle Bezugsberechtigen zum Zug kämen, rechnerisch nicht möglich wäre bzw. in Anbetracht der Vielzahl an Musikschaffenden auch die Sendezeit nie und nimmer reichte. Institutionen wie AKM oder die SKE haben sehr engagiert, schnell und im Vergleich zu anderen Stellen unbürokratisch reagiert und Anträge abgewickelt – wie ich aus erster Hand weiß: Unter immensem persönlichen Einsatz.
GP: Wir sind jetzt beim aktuellen Thema … Was ist dir persönlich durch die Krise alles entgangen, abgesagt, verschoben worden?
ChR: Eine Aufführung beim Festival Flagey New Music Days im großen Rahmen in Brüssel, geplant für April, wurde ersatzlos gestrichen. Geplant ist hingegen, eine für Graz und Wien anberaumte Aufführung eines Liedwerks durch das Grazer Ensemble Zeitfluss nächstes Jahr nachzuholen. Viel schwerer wiegt der Umstand, dass das Sozialleben, das Networking und der Optimismus vom Radar verschwunden sind. An das erfolgreiche Jahr 2019 anzuknüpfen wird auch im kommenden Jahr nicht möglich sein.
GP: Oder hat es auch positive Auswirkungen gegeben? Der Unterricht an der Unversität mit home-office und online-Unterricht hat ja wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen, keinesfalls weniger (so zumindest mein Eindruck). Also eine Kreativschub habe zumindest ich dadurch nicht verspürt.
ChR: Dieses extrem gefährliche Virus hat zahllose Menschenleben gefordert. Darin kann ich absolut nichts Positives erkennen. Dem Unterricht im letzten Quartal hingegen durchaus, wenngleich mir der persönliche Kontakt zu den Studierenden wirklich fehlt, der konstruktive Diskurs und für mich selbstverständlich auch der Besuch von Konzerten der Studierenden. Nichtsdestotrotz haben wir im letzten Jahr viel gelernt und uns in aller Redlichkeit darum bemüht, die Studierenden bestmöglich zu betreuen. Es hat viel Zeit und Energie in Anspruch genommen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass sich das Lehrangebot auch wesentlich weiterentwickelt hat und wir in den kommenden Jahren sowohl methodisch als auch im Hinblick auf elektronische Unterrichtsmaterialien etc. mehr und manches vielleicht sogar in besserer Qualität anbieten können.
GP: Gehen wir einmal davon aus, dass sich das Musik- und Konzertleben ab Herbst zumindest einigermaßen wieder auf die (wenn auch wahrscheinlich neue) Normalität einpendelt: was gibt es für Projekte in näherer und weiterer Zukunft?
ChR: Gehen wir lieber nicht davon aus. Dahingehend ist mein nächstes Großprojekt ordentlich php zu lernen und mich mit einigen JavaScript Libraries vertraut zu machen.
GP: Du bist auch als Dirigent bei eigenen Werken aktiv. Hast du da auch ein Studium absolviert, oder war der wichtigste Einfluss dafür der Kurs in Grafenegg bei Matthias Pintscher und Brad Lubman? Was bedeutet Dir dirigieren?
ChR: Dirigieren ist eine Möglichkeit, das eigene Werk genau so umzusetzen, wie man es haben will. Dieser Aspekt ist auch für die Musiker_innen meistens höchst interessant, auch weil man als Interpret_in gerne das Gefühl hat, ein Werk genau im Sinne des_der Komponist_in zu spielen. In Grafenegg ist das Tonkünstler-Orchester jedes Jahr mit großer Freude und großem Einsatz bei der Sache: Ich hatte den klaren Eindruck gewonnen, dass ein Projekt wie »Ink still wet« bei den Orchestermusiker_innen abwechslungsreich, beliebt und für sie spannend ist. Man arbeitet dort mit den besten: Mit den besten Dirigent_Innen für Neue Musik – die selbst zugleich auch renommierte Komponist_innen sind, mit einem wirklich exzellenten Symphonieorchester, das auch in der Lage ist, spieltechnische Herausforderungen routiniert und sauber umzusetzen, und mit hochinteressanten Teilnehmer_innen des Workshops aus aller Welt, deren Stücke die Kursleiter_innen ausgewählt haben.
Dirigieren bedeutet die 1:1-Erfahrung, wie eine kompositorische Idee im großen Ensemble aufgeht. Dazu braucht man die entsprechenden handwerklichen Fertigkeiten, viel wichtiger aber ist: eine akkurate Vorstellung des Stücks. Hier haben wir Komponist_innen bei unseren eigenen Werken natürlich einen immensen Startvorteil. Hinzu kommt, dass man probentechnisch sich enorm viel abschauen kann, wenn zB. Clement Power mit dem Klangforum das eigene Stück einstudiert oder Peter Keuschnig mit dem Ensemble Kontrapunkte.
GP: … und deine Tätigkeit als Pianist? Da spielst du ja nicht nur eigene Werke, sondern – daran erinnere ich mich gut – zB. auch einen Liederabend „Schubert lange Schatten“ in Weiz … Gibt es da weitere Vorhaben?
ChR: Nichts Konkretes. Soeben ist die Einspielung meines Klavierzyklus’ »XXI Orakel der Nacht« beim Label VMS auf CD erschienen. Aber ich bin Komponist, diese Tätigkeit lässt kaum Platz für andere große künstlerische Vorhaben, zumal mein Anspruch an die eigene Kunst stets der höchste ist. Ich spiele aber nach wie vor gerne und kehre immer wieder auf die Bühne zurück, da mir die direkte künstlerische Kommunikation mit dem Publikum großen Spaß macht und ich auch das Gefühl habe, dass es umgekehrt für die meisten Zuhörer_innen ein willkommenes Erlebnis ist und auch etwas Besonderes darstellt, wenn jemand seine eigene Musik authentisch und mit spürbarem Enthusiasmus darbietet. Zudem soll man niemals die Neugierde und die Abenteuerlust der Menschen unterschätzen. Als Komponist_innen wissen wir freilich, wie man sie stillen kann und zaubern immer wieder neue Stücke aus dem Hut.
GP: Du bist, wenn man deine Werkliste betrachtet, ein fleißiger Komponist. Wie ist deine Arbeitsweise? Komponierst du eher auf Auftrag oder für bestimmte Gelegenheiten – oder einfach, wenn du gewisse Ideen hast?
Ein einziges Stück entstand bislang im Rahmen eines Kompositionsauftrags. Ein Auftragswerk zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass ein Auftraggeber dafür bezahlt, dass dieses Werk entsteht. Einige Werke entstanden im Rahmen einer öffentlichen Förderung (Staatsstipendium, Arbeitsstipendium, SKE-Förderung). Ideen zu neuen Werken habe ich immer, aber ich wiege genau ab: Wird es aufgeführt? Ist es wieder- oder weiterverwertbar (beispielsweise orchestrierbar)? Könnte ich selbst eine Aufführung organisieren bzw. das Stück spielen? Würde es aufgenommen bzw. auf Tonträger eingespielt? Wer würde es spielen? Wo würde es uraufgeführt werden? Würde es eventuell gesendet?
GP: Bist du ein langsamer oder schneller Arbeiter? Passieren hinterher, also nach Abschluss eines Werkes, noch viele Korrekturen – oder ist ein Stück quasi fertig, wenn du beim Doppelstrich angelangt bist?
ChR: Ein Stück ist nie ganz fertig, allein, weil sich die eigene Vorstellung verändert. Älter wird man auch. Einige Stücke überarbeite ich zu gänzlich neuen Stücken mit neuer Besetzung, neuen Formteilen etc.. Boulez ist manchmal ähnlich verfahren, aber weder will ich es verallgemeinern, noch mir hier irgendein Vorbild suchen: Angestrebt muss immer die höchste Qualität werden; weder das Verwursten, noch übereifriges Hudeln, noch sonstwelche künstlerischen Abstriche sind zielführend. Wenn ein Stück nichts taugt, wird es verworfen.
GP: Du scheinst auch einige Anregungen aus der Literatur zu bekommen – oder irre ich mich?
ChR: Wie man eingangs dem Interview entnehmen kann, muss mein literarischer Geschmack prinzipiell in Zweifel gezogen werden. Als anregend empfinde ich zur Zeit das Buch: »Der letzte Mann, der alles wusste« von John Glassie und ein damit verbundenes Werk Umberto Ecos, nämlich »Die Insel des vorigen Tages«. Ob das musikalisch noch zu etwas führen wird, steht in den Sternen, aber beide Bücher sind mir äußerst anregend.
GP: Bei welchem Musikstück (oder bei mehreren) denkst du dir: „So etwas möchte ich auch komponieren können!“
ChR: Ich nehme für mich in Anspruch professionell zu arbeiten. Das bedeutet insbesondere, dass ich das, was ich komponieren möchte zu Papier bringen kann.
GP: Bedienst du dich bei der Verbreitung/Bewerbung deiner Musik auch der neuen Medien (wie facebook, youtube, instagram etc.) – und wie siehst du die Möglichkeiten? Positiv, negativ? Musik scheint ja immer selbstverständlicher „gratis“ und immer verfügbar zu werden … nur die Urheber haben meist nichts davon.
ChR: Facebook macht mir manchmal Spaß und zugleich hadere ich mit einigen Aspekten dieser Plattform. Nun, wer nicht. Mit dem Widerspruch aus Likeblase und Hassoase müssen wir wohl umgehen. Leider ist die Musikwelt und dazu zählt auch die kleine Welt der Neuen Musik (selbsternannte Avantgarde eingeschlossen) eine durch und durch konservative, die es nicht verstand, bis heute, die neuen Medien zur Vermarktung ihrer Interessen kosteneffizient zu nützen. Dies hat vielfältige Ursachen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Fakt ist, die Softwareunternehmen haben es beispielsweise geschafft, ihre Produkte trotz open source Kultur höchst profitabel zu vertreiben, etwa durch Abo-Modelle. Ich glaube, wir können es noch besser machen.
GP: Herzlichen Dank! Wir freuen uns auf deinen Auftritt beim „Selfies“-Konzert am 18. Oktober.