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Interview

Jeunesse-Interview zur Uraufführung des Streichquartetts »Epitaph for Ovid Nase«

Im Rahmen der Uraufführung des Streichquartetts »Epitaph für Ovid Naso«, das 2015 mit dem Kompositionspreis – ausgeschrieben von der Jeunesse, der Alban Berg Stiftung und dem Hugo Wolf Quartett – ausgezeichnet wurde, führte Albert Seitlinger für die Jeunesse mit dem Komponisten ein Interview rund um das Werk, das am 16. Oktober 2016 im Wiener Konzerthaus vom Hugo Wolf Quartett uraufgeführt wurde.

»Epitaph für Ovid Naso« ist deine zweite musikalische Reflexion über das Leben des römischen Dichters Ovid, der einen Großteil seines Lebens im Exil am Schwarzen Meer verbringen musste. Was fasziniert dich an Ovid?

Ovid hat stur an die Kraft seiner Kunst geglaubt und sich der Hoffnung nie entschlagen, dass sie es ihm einst erlauben würde, nach Rom zurückzukehren. Dass es dazu nie kommen sollte, zeigt einen Widerspruch auf, dem wir in der Kunst oft begegnen: Einerseits ist sie ein zahnloses Mittel ohne politische Macht. Andererseits aber hat nur Ovids Kunst überdauert. Mich fasziniert, dass Kunst überall gedeiht und anscheinend alles aushält.

Wie äußert sich diese Faszination für Ovid in der Musik?

Was in der Musik am »Ohrenscheinlichsten« zum Ausdruck kommt, sind Klänge. Gleichzeitig suchen wir nach einem Darunter. Für das Streichquartett dachte ich mir eine Geschichte aus, die in Ovids Welt, am Weltende, in der Kargheit der vom Meer umspülten Wüste spielt. Am Ende entschwindet die Geschichte in den Hintergrund. An der Oberfläche bleiben möglichst lebendige und atmende Klänge stehen, in denen man wie im Kaffeesud lesen kann – und finden!

Am Ende von »Epitaph für Ovid Naso« klingt zur Bezeichnung »Wienerisch« ein Walzer im Stile Gustav Mahlers an. Ein doppelter Boden unter Ovids Füßen?

Das Streichquartett trieft vor Nostalgie. Damit steht es ganz im Geiste Ovids, der nichts sehnlicher wollte als »zurück«. Vielleicht ist das der Orakelspruch aus der Figur Ovids: Es geht nie »zurück«! Der Katzenjammer, mit dem man sich immer schon nach dem Vergangenen gesehnt hat, ist lächerlich und grotesk. Deswegen geht Ovids Welt ein bisserl im Dreivierteltakt unter. Aber in Wien passiert das, wie Mahler wusste, ohnehin ein paar Jahre später.

Deine Musik findet ihre Inspiration oft in anderen künstlerischen Ausdruckssphären wie Literatur, Film und bildender Kunst. Wie beeinflussen sich diese Künste in deinen Werken?

Die verschiedenen Kunstsparten sind sehr unterschiedlich und können verschiedene Inhalte gut bis gar nicht vermitteln. Musik und Film sind eng verwandt, da beide Formen zeitgebunden sind. Interessant ist also, wie man Prinzipien nicht zeitgebundener Kunstformen auf ein Musikstück übertragen kann. Denken wir an die Perspektive in der Malerei: Nehmen wir eine akustische Perspektive von Klängen oder Klangzusammenhängen wahr? Wie beeinflusst ein harmonischer Verlauf diese Wahrnehmung? Denken wir an Farben: Erkennen wir in der Sättigung eines Farbtons eine Analogie zur Periodizität eines Klangspektrums? Inwieweit kann ich das kompositorisch lenken, um daraus eine harmonische Struktur zu schaffen, die auf die Dramaturgie meines Werkes einwirkt?

Du bist selbst in den Bereichen digitale bildende Kunst und Grafik tätig. Was bedeutet für dich das visuelle Element in der Kunst?

Was wir sehen, auch während wir Musik hören, beeinflusst unsere Wahrnehmung entscheidend. Das visuelle Element spielt immer eine Rolle, selbst wenn man im völligen Dunkel Musik hört. Dann nämlich hören wir sie erst recht anders. Denken wir nur an das Werk »in vain« von Georg Friedrich Haas. Das Ambiente eines Konzerts, die Beleuchtung während der Aufführung, die Gesten eines Solisten oder Dirigenten, all das ist mitentscheidend für die Wirkung eines Stückes und Teil der Interpretation. Man kann diese Parameter als Komponist festlegen; in jedem Fall aber muss man sie mitdenken und ihren Einfluss auf die Entfaltung des Stücks abschätzen können.

Welchen Einfluss übt für dich als Pianist das Klavier, seine Klangsphäre und Spieltechnik auf deine Musik aus?

Ich komponiere fast alles auf zwei im Vierteltonabstand gestimmten Klavieren. Ich will jeden Klang hören, bevor er auf den Bildschirm kommt und greife dabei auf das einzige Instrument zurück, das ich einigermaßen vernünftig bedienen kann. Ansonsten ist dieser Prozess ganz abstrakt. Das Instrumentieren findet in einem späteren Schritt am Schreibtisch statt. In vielen meiner Ensemblestücke sind dennoch Klavier bzw. Stabspiele, Röhrenglocken und Gongs äußerst wichtige Instrumente, deren Klangfülle und orchestrale Virtuosität ich sehr schätze.

In mehreren deiner Werke arbeitest du aktiv mit zeitgenössischen Schriftstellern zusammen. Wie spielen dabei Musik und Literatur zusammen?

Unter den 1001 Arten, Worte mit Musik zusammenzubrauen, suche ich fortwährend nach Rezepten, die aus beiden Zutaten ein Elixier formen, das stärker ist als seine beiden Komponenten. Musik ist flüssige Emotion. Ein Text kann ihr präzise Bedeutungen zuweisen und semantische Zusammenhänge verknüpfen, kurzum: sie bis ins Unerträgliche intensivieren. Ich bekenne mich zum Pathos. Ich vermisse es heute oft. Musik ist die einzige abstrakte Kunst, die mich zu Tränen rühren kann.

Interview: Albert Seitlinger / Jeunesse.

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Chamber Music Universal Edition Work

Epitaph für Ovid Naso

Epitaph für Ovid Naso | Hugo Wolf Quartett

Epitaph für Ovid Naso
for string quartet (2011, revised 2014)

English

The five movements of my first string quartet «Epitaph for Ovid Naso» blend landscapes, rhythms of archaic rites, the scent of Roman vine and nostalgia that is breaking through again and again for a tale from the times of empires long fallen apart. The figures coming into picture proclaim the melancholy falling on simple life like a heavy waft of mist. Furrowed by the unwrought verses of their austere daily routine, they uniformly and artlessly hammer out their rhythms in isolated spots from the amorphous desert backdrop. Time and again—washed around by the surges of the sea—their voices rise up from the bulge of yellowed memories.

We are drawn into the sounds disgorged by Poseidon‘s abyss, and see «on Tauris in the evening» a barbaric ritual, which ebbs away in a wild spree. At the end, we find our way back «to that era» which seems to be shaped by a vague flurry of activity. We longingly cast a final look at Vienna, where, as we know, the world still perishes a little later.

The string quartet was written in 2010–11 and was revised in 2014. The work was awarded the composition prize written out by jeuness, the Hugo Wolf Quartet and the Alban Berg Foundation.

German

Die fünf Sätze meines ersten Streichquartetts »Epitaph für Ovid Naso« vermengen Landschaftsbilder, die Rhythmen archaischer Riten, den Duft nach römischen Wein und immer wieder durchbrechende Nostalgie zu einer Erzählung aus einer Zeit längst verfallener Imperien. Die Figuren, die dabei auftreten geben von der Melancholie Kunde, die sich wie eine schwere Nebelschwade über das einfache Leben senkt. Zerfurcht von den rohen Versen ihres kargen Alltags hämmern sie ihre schlichten Rhythmen an vereinzelten Stellen im Gleichklang aus der amorphen Wüstenkulisse heraus. Immer wieder von den Wogen der See umspült tönen ihre Stimmen aus dem Wulst vergilbter Erinnerungen empor.

Wir werden hineingezogen in die Klänge, die der Schlund Poseidons ausspuckt und sehen »abends auf Tauris« ein barbarisches Ritual, das in einem wilden Trinkgelage entschläft. Und wir finden am Ende »in diese Zeit« zurück, um inmitten einer diffusen Hektik, die »diese Zeit« prägt, einen letzten sehnsuchtsschwangeren Blick nach Wien zu werfen, wo die Welt bekanntlich immer noch ein bisserl später untergeht.

Das Streichquartett entstand 2010–2011 und wurde 2014 revidiert. Das Werk wurde mit dem Kompositionspreis, ausgeschrieben von der Jeunesse, dem Hugo Wolf Quartett und der Alban-Berg-Stiftung, ausgezeichnet.

INSTRUMENTATION:
2 violins, viola, violoncello

DURATION:
17 minutes

PUBLISHED BY:
Universal Edition

PREMIERE:
October 16, 2016 • Vienna, Konzerthaus • Hugo Wolf Quartet • Sebastian Gürtler, volin • Régis Bringolf, violin • Subin Lee, viola • Florian Berner, violoncello

PERFORMANCES:

  • November 14, 2016 • Radio Ö1, Konzert am Vormittag • Hugo Wolf Quartet • Sebastian Gürtler, volin • Régis Bringolf, violin • Subin Lee, viola • Florian Berner, violoncello
  • March 5, 2017 • Warsaw, Radio Polskie Studio W. Szpilman • Hugo Wolf Quartet • Sebastian Gürtler, volin • Régis Bringolf, violin • Subin Lee, viola • Florian Berner, violoncello
  • May 4, 2017 • Valetta, Palazzo Pereira • Baltic Neapolis Quartet
  • June 8, 2017 • Polskie Radio Dwojka, Filharmonia Dwójki • Hugo Wolf Quartet • Sebastian Gürtler, volin • Régis Bringolf, violin • Subin Lee, viola • Florian Berner, violoncello
  • January 22, 2018 • Radio Ö1, Zeit-Ton • Hugo Wolf Quartet • Sebastian Gürtler, volin • Régis Bringolf, violin • Subin Lee, viola • Florian Berner, violoncello