Am 30. September brachte das Grazer Ensemble Zeitfluss mein Werk «L’inventaire des couleurs gnomiques» zur Uraufführung. Die Komposition entstand im Sommer 2019, die einzelnen Sätze stellen sich dabei jeweils als kurze Weissagungen dar, jeder einzelne Teil umkreist eine Grundstimmung oder ein verborgenes Sujet und ist mit einem Farbton assoziiert.
Neben der Uraufführung standen Werke von Peter Ablinger und den beiden Grazer Komponisten Peter Lackner und Joachim Jung in memoriam am Programm des Konzerts.
Île des gnomes ist eine Ensemlefassung meines Klavierzyklus XXI Orakel der Nacht – erstes Heft. Diese Version entstand 2019 für das Grazer Ensemble Zeitfluss. Die sechs Sätze Mondklee, Der Kerzenleuchter, Der Horizont, Die Finsternis, Der Pulsar und Der Aufruhr stellen sich dabei als kurze Weissagungen dar, die jeweils eine Grundstimmung oder ein verborgenes Sujet umkreisen und sind mit jeweils einem Farbton assoziiert. Der Horizont ist mit dem satten Majorelleblau verbunden, die Finsternis mit dem Eigengrau verknüpft, also jener Farbe, die man in völliger Dunkelheit wahrnimmt und die interessanterweise nicht schwarz ist. In meiner Musik jedoch hat selbst das Grau eine Farbe. Was es wiederum mit dem Marsgrün aus dem letzten Satz auf sich hat, einer Farbe, die sich ansonsten noch zumindest in der offiziellen Farbpalette von CorelDraw nachweisen lässt, wird Ihnen gewiss nicht entgehen. Befragen wir dieses Orakelbuch also.
Aus einer pastellzarten Harmonie sich mischender Gouache-Farben entspringt ein farbiger Fluss, der Steine umspült, Katerakte formt, sich durch klamme Schluchten furcht und der an seinen Gestaden immer wieder kleine Inseln und Sandbänke schafft, die als solistische Momente dem Geschehen entwachsen. Las Islas Aguadas ist dezidiert ein Klavierkonzert. Eine Solistin steigt in den Ring gegen ein solistisch agierendes Kollektiv aus 15 EnsemblemusikerInnen. Während beide Gegenspieler sich im unnachgiebigen Schaukampf um die Vorherrschaft in der Virtuosität nichts schenken, bleibt das Zepter der Zeit dort fest in den Händen der Pianistin, wo der brandende Fluss zur Ruhe kommt: Auf den verwässerten Inseln.
« FOUR » an arrangement of Chopin’s Étude Op. 10/4 (2015)
Chopins Klavieretüden sind die erste große Landmarke pianistischer Prahlerei. Sie sind ein früher Inbegriff dessen, was man unter dem künstlerisch nichtssagenden Étikett Fingerfertigkeit gerne subsummiert. Die zwei Dutzend Klavierstücke gelten als Gradmesser klaviaturhandwerklichen Zurschaustellens; als akademische Eintritts- und Austrittshürde, die stets souverän zu überspringen ist. Sie sind zur Figur verkommen, mag man glauben, ein Stück Eiskunstlaufen für untalentierte, aber fleißig Klavier übende Eiskunstläufer. Wer fragt heute noch nach Ligeti (oder Panisello)?
Chopins Études sind ein musikalisch gewichtiger Meilenstein. Ein Experiment über das Mögliche und das gerade-noch-Mögliche. Eine kompositorisch äußerst gelungene Gratwanderung, die keine klanglichen Kühnheiten scheut. Diese auf engsten — 88 Tasten und zehn Finger breiten — Raum komprimierte Musik ist in ihren theatralischen und in ihrern lyrischen Absichten jedoch kompromisslos. Sie ist durch und durch orchestral, ihr etüdenhafte Kern ist die Abstraktion: Das große Ganze einer musikalischen Welt mit pianistischem Geschick in die beiden Hände eines einzigen Interpreten zu legen.
Was lässt sich in dieser Musik noch entdecken? Welche ungewohnten Züge prägen sie? Es war an der Zeit, eine Neuinterpretation zu versuchen, ohne die Abgedroschenheit der Stücke noch weiter anzutasten. Das Ergebnis, das am 20. Juni im MUMUTH zu hören war ist eine eigenwillige Bearbeitung der Etüde op. 10/4 für ein kleines Ensemble. Wenn — in durchaus ironischer Manier — uns dabei Unvorhergesehenes begegnet, ist es nichts als ein Zeichen dafür, dass diese Musik auch knapp 200 Jahre nach ihrer Erfindung immer noch nicht tot zu kriegen ist.
Ausgangspunkt meiner Bearbeitung ist die faszinierende Theatralik, die Chopins Klavierwerk innewohnt. Die Bearbeitung selbst stellt eine Etüde für sich in Hinblick auf die Instrumentation dar. Mit möglichst wenigen Instrumenten wird die orchestrale Dimension in Chopins‘ Klavieretüde Op. 10/4 beleuchtet und dabei das Klavier — bis zum Schluss — außen vor gelassen.
al di là della tinta «jenseits der Farbe» liegt das Übermalte brach – das verdrängte Alte, jener längst aus einer Mode gekommene neueste Schrei – welchem man mit den Tinkturen der eigenen Zeit neuen Anstrich verlieh. In all seiner archaischen Schönheit schimmert es durch, wo der Verputz bröckelt und Fenster auftut aus welchen der ins Fundament gemauerte vergangene Zeitgeist fahl hervorspukt.
Als fragile Näherung an Weberns III. Bagatelle aus dessen Opus 9 beleuchtet al di là della tinta einzelne musikalische Momente in Weberns Quartettsatz: Gesten innersten Aufschreis, die Unruhe des Pendels, das «Verlöschen». Die Komposition, als pastellfarbene Schicht aufs Papier erflossen, mimt hierdurch die Interpretation ihrer Malgrundlage zugleich und ist doch grundverschieden.